Einer der grossen gesellschaftlichen Trends der letzten Jahre ist sicherlich die Retro-Welle, die fast alle Bereiche der Kultur und des Alltags erreicht hat. Auch in der "IT-Szene" - mangels eines besseren Begriffs nenne ich die so - kann man in letzter Zeit eine gewisse Hinwendung zu Retrothemen beobachten, v.a. im Games-Bereich. Besonders Jubiläen einzelner wegweisender Geräte finden dann auch ihren Weg in die IT-Presse. Letztes Jahr waren es
30 Jahre Commodore 64 und der
Tod von Commodore-Gründer Jack Tramiel. Dieses Jahr nun feiern wir 30 Jahre
Apple Lisa. Der Lisa war zwar einer der vielen Flops aus Cupertino, war aber der bedeutendste Meilenstein auf dem Weg zum Mac-Ökosystem. Darum ist es auch nicht verwunderlich, wenn nun die ersten Artikel zum Thema erscheinen, wie z.B.
hier bei futurezone.at.
Vieles in diesem Artikel ist korrekt, gerade auch die Passagen, die den vermeintlichen Diebstahl von Ideen durch Apple bei
Xerox in dessen legendären
Palo Alto Research Center (PARC) beschreiben. Aber bereits im Lead findet sich ein Fehler. Der Lisa war eben 1983 nicht der "erste Rechner mit Mausbedienung".
Diese Ehre gebührt tatsächlich Xerox. Bereits 1981 erschien mit dem
Xerox 8010 Information System, auch bekannt als Star Workstation, das erste kommerzielle Computersystem mit Mausbedienung (Zweitastenmaus) und einer fensterbasierten grafischen Benutzeroberfläche. Grundlage für die Entwicklung des Star war jener legendäre
Xerox Alto, von dem auch Steve Jobs so begeistert war.
Mäuse als Eingabegerät sind noch älter
Aber wie immer in solchen Dingen kamen auch im PARC die Ideen nicht einfach aus dem Nichts. Der erste Trackball wurde 1952 im Rahmen eines kanadischen Rüstungsprojekts gebaut. Ab 1963 bastelte unabhängig davon
Douglas Engelbart vom
Stanford Research Institute an ersten Maus-Prototypen. Engelbart demonstrierte 1968 ein erstes Gerät der Öffentlichkeit. Diese Maus funktionierte nur mit Rädern, die direkt Kontakt hatten mit der Oberfläche des Tischs.
Allerdings veröffentlichte die deutsche Firma
Telefunken einige Wochen vorher bereits kommerziell eine Maus, die mit einer Kugel die Bewegungsinformation ermittelt. Die sog. Rollkugel wurde ab 1970 mit den von Telefunken entwickelten Sichtgeräten SIG-100, die an die Telefunken Grossrechner
TR 440 angeschlossen werden konnten, ausgeliefert. Ein Exemplar dieser frühen Maus kann heute im Computermuseum der Fakultät Informatik der Universität Stuttgart bestaunt werden. Mehr zu dieser deutschen Entwicklung
findet man bei heise online.
Microsoft blieb übrigens damals auch nicht untätig und entschied bereits 1981 seine Dos-Textverarbeitung Word mauskompatibel zu machen. Die erste PC-kompatible Maus erschien daraufhin im selben Jahr wie der Apple Lisa, also 1983.
Vom Lisa zum Mac
Aber zurück zum Lisa. Das gerät floppte u.a. auch wegen dem hohen Eistandspreis von 10'000 US$. Angepeilt waren ursprünglich 2'000 US$. Im darauffolgenden Jahr erschien dann noch der Lisa 2, der kurz darauf in
Macintosh XL umbenannt und schliesslich eingestellt wurde. Im Janaur des selben Jahres erschien ja bekanntlich mit dem
Macintosh 128K der erste Mac. Dessen Maus war übrigens baugleich zu jener des Lisa. Mit dem Mac begann eine der Erfolgsgeschichten der Computerbranche, die bis heute andauert. Ermöglicht hat dies auch der Lisa.
Randnotiz: Enttäuschte Fans und Turf Wars
Interessant scheint mir noch der erste Leserkommentar zum Lisa-Artikel bei furturzone.at. User "founder" schreibt da:
"Lisa war der erste große Bruch mit der Fangemeinde. Ein Gerät, welches überhaupt nichts mit dem apple ][ zu tun hatte, in einer ganz anderen Preisklasse angesiedelt war.
Apple sezte da auf einen völlig anderen Markt und lies die alten Fans der Marke komplett in Stich."
Ein altbekanntes Problem, oder? Als eingefleischte Amiga-User wie ich einer war, die sich ein paar Jahre nach dem ersten Mac
hitzige Wortgefechte mit den Atari-Jungs lieferten, konnten wir nur lachen über die Macs, deren Spezifikationen damals - für uns - alles andere als beeindruckend waren. Wie ich viel später erfuhr, bezeichneten damals manche die Macs schlicht als die "Yuppie-Ataris aus Cupertino". Das waren halt noch Zeiten :)